Zehnzeiler

Letzte Ernte & das zweitausendeinhundertvierundachtzigste Gedicht

Murnauer Moos, Heuballen

Die Kommoden

Noch stemmt sich etwas Restepracht
Gegen Kantenschleifer.
Unverwandt, doch gut bedacht,
Markt sie blinden Eifer

Als Abzulehnendes,
Zu nichts Verwehendes.

Sie hält den Lauf der Welt nicht auf,
Sie hält nur kurz den Schritt.
Sie winkt kommod dem Ausverkauf -
Und ich, ich winke mit.

Expo 1956 & das zweitausendeinhundertsiebenundsechzigste Gedicht

Blick auf das Atomium von der Messe

Brüssel

Brüssel scheint artig pompös, fast phlegmatisch,
Etwas Paris, nur sozialdemokratisch -
Ein Amsterdam, dem man die Schärfe entzogen.

Die Heimeligkeit heischt nicht gar so verlogen
Wie die Willenskulissen beliebterer Städte -
Hier gilt als Idyllenprämisse das Nette
Und streckt oder reckt sich ins Unterpompöse,
Wird ständig beklampft von dem Dampf der Fritteuse,
Im "Lass 'ma gut sein!" eingeparkt.

Ich nehm ein Bier, falls jemand fragt ...

Düsseldorf & das zweitausendeinhundertachtundfünfzigste Gedicht

Blick auf den Rhein von der Düsseldorfer Altstadt

Grundloses Aufatmen

Atmen - Atem - atmen - Atem,
Füllen - Leere - füllen - Leere,
Etwas Angst vor Ungegartem,
Vor dem Schnitt der Wohlstandsschere,

Sog, Druck und Erleichterung,
Fern vom einst erreichten Schwung,
Doch im Schoß entfleischter Süße
Übt das Ebenmaß Tumult
Und bestellt der Schongeduld
Schöngefärbte Grüße.

Midsommarsunset & das zweitausendeinhundertvierundvierzigste Gedicht

Sonnenuntergang auf Aland Ende Juli

Fraglicher Ausklang

Welche der sonnigen Untergangsarten
Wird uns heut Abend zum Weitblick erwarten?

Schlierenumkränzt oder mehr solitär,
Fokusverortet / von irgendwoher?

Plumpst sie mit stummen Padummski ins Meer,
Prasselt sie flammwolken spektakulär?

Dumpft sie tiefrotblau das Himmelszelt ein,
Tüpfelt sie scheibchenzersägt ihren Schein?

Welche der sonnigen Untergangsarten
Wird uns heut Abend zum Weitblick erwarten?

Hinterseebank & das zweitausendeinhundertzwölfte Gedicht

Badebank am Hintersee bei Ramsau

Lückennießer

Sitzend unter 'nem Balkon
Bei ewig währ'nden Regen -
Fraglich freilich, was hab ich davon,
Mich hierhin zu bewegen?

Doch erkenn' im Lichterstrahl
Sich Flattertier bugsieren,
Sirrend: "Regen? Mir egal.
Muss ich halt lavieren ...!"

Und es stimmt: Sie retten sich. Weil in allem Gepladder die Lücken ja da sind!
Dass die Sichtbakeit nie alle Chancen dir nimmt - bleibe dir dieses Glücks immer gewahr, Kind!

Hotel Kyiv & das zweitausendsiebenundneunzigste Gedicht

Blick auf die Fassade des Hotel Kyiv in Bratislava

Aber die Haie

Aber die Haie fraßen
Die Brüste, die deinen; die Scheide;
Der Rundungen Streben nach Maßen,
Umrundet vom weiblichen Neide;
Der Raum und Zeit Vollkommenheit
Und ihre Ebenmäßigkeit -
Von ziellosen Zähnchen zerrissen,
Die nichts in Erotik bemessen,
Nur beiläufig fressen und fressen:
Dich, Kronstadt von Wesen und Wissen.

Sendero Muselmanes & das zweitausendzweiundsiebzigste Gedicht

Ausgrabungen in einer Höhle auf dem Muslim's Trail im Varahicacos Schutzgebiet bei Varadero

Calle 62

Ohne die andern
Längs Stätten zu wandern,
Die doch für die andern gemacht -
Sollt als Vergnügen
Uns vollends genügen,
Endvoll im Glück jener Nacht,
Da sonst verpönte Einheitsware
Verwöhnte einwandfrei die Paare,
Halt preiswert anstatt preisenswert.
Empfand man als nicht ganz verkehrt.

Schweinebuchtpelikan & das zweitausendfünfundsechzigste Gedicht

Brauner Pelikan in der Schweinebucht

Sehr beliebt: die Osterzeit (Albatross und Pelikan)

Albatross und Pelikan,
Eine Brise Seemannsgarn,
Eine Kaltmamsell mit Brille,
Pekannüssehüllenfülle
Prägt den Tross der Albernheit.
Sehr beliebt: die Osterzeit.
Lotst per Heli einen Kran!
Kalb verkostet Priem auf Kahn,
Prost Alberto, Peter Pan,
Albatross und Pelikan!

Hoffnungsschimmer & das zweitausendvierzehnte Gedicht

Himmel überm Flaucher

Schwalben

Ihre Küsse sind von fauler Süße -
Die sind auf den Straßen gegärt.
Ein schrilles Parfüm sendet günstige Grüße -
Da Billigkeit langsam verjährt.
Doch so viel Erfahrung,
So oft Offenbarung -
Daraus muss doch die Welt etwas lernen
Vom Rand unsrer Mitte!
Eh tippelnde Schritte
Sich weitersfort von uns entfernen ...

Neuaufbauten & das zweitausendzwölfte Gedicht

Das Münchner Rathaus

Neujahrsvorsatzbitte

Es sind neue Jahre vorab schon entleert -
Und ich schieb's nicht allein auf das Alter!
Wenn ganz offenbar eine Karre nicht fährt,
Ist das nicht die Schuld von dem Halter.

Was ging, das hab ich eingestielt -
Und erkenne schon wieder entsetzt,
Dass restlos zerstört ist, worauf ich gezielt
Vom stetig erneuerten Jetzt.

Erteilt mir vorm nächsten naiven Erheben
Den Segen, endlich aufzugeben!

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